Manufaktur oder Verlag?

Wie damals üblich, wurden die Fabrikationsstätten nicht an einem Ort konzentriert, sondern mehrere Werkstätten an verschiedenen Orten angelegt: in Fortschau, Fichtelberg, Mitterlind, Unterlind, Kaibitz und Ebnath. So verteilte sich das Armaturwerk auf sechs verschiedene Orte in einem Umkreis von etwa 25 Kilometernum Kemnath, womit das zeitgenössisch übliche Verlagssystem vorliegt.

Das Verlagssystem war eine Organisations- bzw. Koordinationsform (Produktionsregime) exportorientierter Gewerbe besonders in der Ära der Protoindustrialisierung des 13.19. Jahrhunderts. Der Begriff bezeichnet wörtlich die Ausgabe (Vorlegen, Fürlegen) von Rohmaterial oder Halbfabrikaten durch einen Auftraggeber (den Verleger) an eine zweite Person, die ihrerseits die Verarbeitung bis zu einem nachgelagerten Produktionsstadium organisierte oder selbst durchführte. Diese zweite Person besorgte somit die Verarbeitung für den Auftraggeber im Lohnwerk.

Das Verlegen nahm bei formaler Unabhängigkeit der Produzenten oft die Form eines Warenkredits an, der durch den Rückverkauf des verarbeiteten Produkts an den Verleger getilgt wurde. Auch die Stellung von Arbeitsinstrumenten durch den Auftraggeber ließ sich unter das Verlagssystem subsumieren. Während das Lohnwerk sich meist auf den lokalen Bedarf bezog, betraf das Verlagssystem die massenhafte Herstellung gewerbli-cher Erzeugnisse, so auch Rüstungsgüter wie Gewehre, Bajonette, Säbel oder Degen. Dies beinhaltete in der Regel die Koordination einer Vielzahl von Arbeitskräften, die in ihren Haushalten sowohl in Städten als auch auf dem Land lebten.

Eine wesentliche Leistung des Verlagssystems war die Ausstattung von Gewerbetreibenden mit physischem Kapital (Kapitalbildung). Das Verlagssystem war somit Ausdruck wachsender sozialer Ungleichheit und ermöglichte zugleich Mitgliedern der Unterschichten mit minimalen eigenen Ressourcen die Haushaltsgründung.

Die Bereitstellung von Kapital durch Verleger hatte folgende drei Hauptfunktionen:

  • Durch den Vorschuss von Rohwaren und/oderHalbfabrikaten kam es zu einer Standardi-sierung von Produktqualitäten. Dies war besonders für die technisch aufwendigen Ge-wehre (egal ob schon mit Steinschloss oder noch mit Luntenschloss versehen) ein beson-ders wichtiges Kriterium.

 

  • Das Verlagssystem war gelegentlich Grundlage für die Etablierung kapitalintensiver tech-nologischer Innovationen. Diese konnten auf dem Weg der Bedarfsträger (die Armee) oder von Händlern und Kaufleuten in den Verlagsbetrieb gelangen. Es konnte sich um neue Fertigungstechnik oder -methodik, neue Teile oder Baugruppen sowie neue Kon-struktionen handeln.

 

  • Mit dem Verlagssystem konnten allochthone (an anderen Orten produzierte/abgebaute) Rohstoffe vom Fernhandel in die gewerbliche Verarbeitung gelangen, denn den Gewer-betreibenden fehlten neben Kapital auch das Know-how und die Zeit, um Rohstoffe aus anderen Regionen zu beschaffen.

 

Es wurde bis hierher deutlich, dass das Verlagssystem organisiert und auch auf maschinelle Unterstützung zurückgreifen konnte. Dies ist der Grund, warum heute oftmals der Begriff Manufaktur synonym auch für das Verlagssystem verwendet wird. Ganz grundsätzlich und stark verkürzt lässt sich die Manufaktur vom Verlag durch folgende Definition unterscheiden: In der Manufaktur waren die Arbeitskräfte außerhalb ihrer eigenen Hauswirtschaft unter Aufsicht und Koordination einer dritten Person eines Betriebsleiters, eines Händler- oder Meister-Fabrikanten tätig.

Die Zentralisierung des Produktionsprozesses konnte sich auf einen einzelnen Produktionsschritt beziehen (horizontale Integration), doch erfolgte in Manufakturen bisweilen auch eine vertikale Integration eines ganzen Produktionsstadiums. Das Vorhandensein von Arbeits- und Kraftmaschinen alleine, ist also kein Indikator für eine Manufaktur oder einen Verlag, entscheidend ist die Arbeitsorganisation im Kontext des Betriebes.

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